Der Zaun ist das Symbol auch der diagnostischen Macht. Diente er der Besitzmacht zur Aussperrung, zur Verhinderung des allgemeinen Zugangs und Zugriffs zu den Gaben der Natur, so dient er der diagnostischen Macht zur Einsperrung in die herrschende, von ihr beherrschte, durchregelte, mit Institutionen vollgestellte Normalität. Wiewohl sie unnachgiebig über die Einhaltung ihrer Ordres wacht, zieht sie es vor, den sanften, integrativen Weg ihrer Durchsetzung zu beschreiten. Sie ist mehr auf Besserung als auf Bestrafung aus, handelt lieber pädagogisch als punitiv, gemeindet lieber ein, als dass sie verstößt. Aber auch sie hält die Untertanen mit Rivalität bei der Stange, mit der erbitterten Konkurrenz um Konformität. Auch sie erhält sich durch die systematische Zersetzung der Daseinsmächtigkeit und Selbsterhaltungskompetenz der Machtunterworfenen; nicht dadurch, dass sie die Mittel dafür enteignet, sondern dadurch, dass sie ihnen das Recht verwehrt, nach selbstgesetzten Zielen ihr Leben einzurichten. Ihr Metier ist die Klientelisierung. Ehe nicht einer ein Mehrfachklient geworden ist, kann er nicht als hinreichend loyal gelten und gibt zur Beunruhigung Anlass. Diagnose steht im Dienst der Massenproduktion von Loyalität. Wer nicht Klient oder, wie man heute sagt, Kunde einer Dienstleistungsfirma geworden ist oder sich mindestens zur besseren Selbstverwaltung einer Selbsthilfegruppe angeschlossen hat, steht unter dem Verdacht, sich seinen Bürgerpflichten, will sagen, seiner bequemen Verwaltbarkeit entziehen zu wollen.
Diagnostische Macht hat es allemal leichter, elegant zu sein, als Besitzmacht. Während Besitzmacht ihren Ursprung in einem Gewaltakt hat, in einer gewaltsamen Beraubung, die sie vergessen machen muss, tritt die diagnostische Macht von allem Anbeginn ihren Untertanen mit freundlichem Gesicht gegenüber und mit dem Versprechen, sie, wenn nicht zur Höchstform, so doch zu einer höheren Form menschlicher Existenz zu führen, sie ihrem Wesen näher zu bringen. |