Der Experte ist der professionelle Beobachter von Missständen. Die Diagnose, etwas sei ein Missstand oder - weniger drastisch - ein Problem, enthält die Verpflichtung, Abhilfe zu schaffen, einen Beseitigungsimperativ sozusagen. In der Tat nimmt der Experte diese Verantwortung auf sich. Seine wirkliche Macht wächst ihm weniger aus seiner überragenden Urteilsfähigkeit zu als vielmehr daraus, dass er über die Mittel verfügt, Normalität zu schützen und zu produzieren Sein Produktionsmittel ist ein apparategestütztes Know-how. Resultat des Produktionsvorgangs sind unzählige Dienstleistungen zur Normalisierung beliebiger Erscheinungsformen des Lebens und zu ihrer Angleichung an die expertokratisch gesetzten Standards; ein unerschöpflicher Ausstoß an Betreuungs-, Behandlungs-, Bildungs-, Informierungs-, Heilungs- und Versorgungseinheiten im Dienste der Optimierung menschlicher Existenz. Diagnostische Macht erhebt nicht nur Anspruch darauf, verbindlich zu definieren, was normal ist, sie erschöpft sich nicht darin, verpflichtende Standards vorzuschreiben, sie monopolisiert auch die Verfahren, mit deren Hilfe die jeweiligen Normalitätsstandards erreicht werden können. Nur innerhalb der von ihr verwalteten und überwachten Verfahren und nach den dort geltenden Regeln kann der Mensch zu seinem menschlichen Wesen gelangen. Nur durch die Schule kann er gebildet werden, nur durch den Arzt gesund, nur mit Hilfe der Wissenschaft vernünftig, nur durch die Medien informiert, nur durch den Rechtsspruch gerecht und nur durch den Therapeuten er selbst. Um sich in einer Gruppe zusammenzufinden, braucht man einen Sozialarbeiter, um einem Nachbarn zu begegnen, einen Gemeinwesenarbeiter, um einen Konflikt in der Familie zu lösen, einen Rechtsbeistand, um einen Freund zu begraben, einen Beerdigungsunternehmer, und um selbst zu sterben, einen Thanatologen. |